Milchmädchenphilosophie

Die Süddeutsche Zeitung wirft jeden Tag abseits von medialem Mainstream ein „Streiflicht“ auf Themen, die in bewundernswerter Weise philosophisch und poetisch zugleich sind. Der Beitrag vom 28. Mai war (wieder einmal) großartig. Es ging um die Milchmädchenrechnung, deren Schönheit gepriesen wird, weil sie „Fehler nicht nur mit offenen Armen empfängt, sie sogar darauf angewiesen ist!“ Sie ist, schreibt der wie immer ungenannte Autor, „eine Gleichung, die auf alle Nullsummenspiele des Lebens angewendet werden kann und deshalb als universelle Formel für Politik, Beruf und Partnerschaft gelten darf.“

Eine solche Gleichung wird jetzt gerade aufgestellt, was den EU-Rettungsschirm betrifft, der über den von Corona gebeutelten Mitgliedsstaaten aufgespannt werden soll. 750 Milliarden sollen es sein, was mancherorts zu Schnappatmung führt, angesichts der monströs wirkenden Summen. Als Milchmädchenphilosoph möchte ich gerne zwei kleine Vergleiche anstellen: Die österreichische Bundesregierung hat einen Betrag genannt, den sie zur Abfederung der Kollateralschaden in die Hand nehmen will, der bei 38 Milliarden Euro liegt. Wobei noch offen ist, ob das genügen wird. Auf jeden Einwohner bezogen sind das knapp 5.000 Euro. Die 750 Milliarden aufgeteilt auf 448 Millionen Einwohner, die in der EU wohnen, sind pro Kopf knapp 1.700 Euro. Zurückzuzahlen in einem Zeitraum von 30 Jahren. Macht pro Jahr etwas mehr als 55 Euro für jeden von uns Europäern aus.

Es ist immer noch zugegebenermaßen viel Geld. Aber in Relation zu einem Totalschaden bei unseren italienischen Nachbarn und den anderen tief getroffenen Partnerländern, mit denen wir wirtschaftlich engstens verbunden sind, ist es noch immer machbar. Wir haben in zwei Weltkriegen unser Land an die Wand gefahren, was hindert uns daran, ein drittes Mal die Ärmel hochzukrempeln. Noch ein Sidestep: Nach 1945 haben uns die Amerikaner mit der Marshallplanhilfe auf die Beine geholfen. Die USA hängen jetzt dank Donald Trump selbst in den Seilen. Bei nur 328 Millionen Einwohnern hat Washington schon jetzt 2 Billionen Dollar bereitgestellt.

Um es auf den Punkt zu bringen: Wir haben keine andere Wahl, als Geld in die Hand zu nehmen zum Hochfahren Europas. Selbstverständlich muss auf dessen Verwendung genau geschaut werden, aber Nichtstun ist nur eine Lösung für Menschen, die (wie die SZ schreibt) die sich einen Vorteil verschaffen wollen, aber die langfristigen Folgen ihres Handelns nicht erkennen.

 

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